Wie ist das nun
mit dem Image der Jugendwerkhöfe?
Es gibt auch
Stimmen, die ein anderes Bild von den Jugendwerkhöfen
vermitteln wollen. Viele der Einrichtungen wären
bereits unter den Nazis für den Jugendstrafvollzug
genutzt worden und 1966 soll angeblich immer noch der
Nazi-Geist darin um gegangen sein. Selbst auf der
Leitungsebene sei noch Personal aus diesen Zeiten
vorhanden gewesen. Ich stand mit R. (Mephisto) in der Diskussion
über dieses Thema. R. war der festen Überzeugung, dass
mit den in Weimar ausgebildeten ErzieherInnen ein neuer
Geist Einzug in die Jugendwerkhöfe gehalten hätte und
sie bedauert, dass es Einrichtungen dieser Art, mit
dieser qualitativ wertvollen Arbeit, heute nicht mehr
gibt. Ich bin gespannt auf die weitere Diskussion zu
diesem Thema, zu der ich gerne einladen möchte. Wer
macht den Anfang?
Anmerkung vom
20.05.2008:
R. scheint sich
der Diskussion nicht weiter stellen zu wollen. Seit
einem halben Jahr ca. hat sie den Kontakt zu mir
abgebrochen. Schade drum!
Was mir bei meinen
Recherchen über die DDR-Jugendwerkhöfe auffällt ist,
dass sich zur Aufarbeitung dieses Stückchens
DDR-Vergangenheit kaum Erzieher und Lehrer zu Wort
melden. Es wird fast nur über Torgau berichtet und das
in den düstersten Farben. Jugendwerkhof.info
hat über 1.000 Mitglieder. Seht einmal selbst nach, wie
viele davon Erzieher und Lehrer sind. Alle
abgetaucht? Die beschriebenen Verhältnisse in den
Heimen und Werkhöfen zeugen den Beschreibungen von
ehemaligen Insassen nach von Hilflosigkeit in der Wahl
der Mittel und teilweise haben sie den Anschein von
Menschenverachtung. Jemand wie ich, der den DDR-Knast
aus eigener Erfahrung kennt und später über
Erziehungsmethoden studiert und gelehrt hat, kann gut
nachvollziehen, wie es diesen Jugendlichen ergangen ist,
die natürlich keine Engel waren. Ich will hier beileibe
nicht moralisieren und schon gar nicht in
Schwarz-Weiß-Malerei verfallen und so tun, als ob der
Kapitalismus da grundsätzlich bessere Lösungen
anzubieten hat. Da kenne ich mich nicht aus. Aber aus
meiner heutigen Sicht als ehemaliger Therapeut, der sich
ein halbes Berufsleben lang mit
Entwicklungsauffälligkeiten und -störungen bei Kindern
und Jugendlichen befasst hat, finde ich die Wahl der
Mittel und Methoden zumindest sehr einseitig auf
Arbeitserziehung und Klassisches Konditionieren (Pawlow)
hin ausgerichtet. Was ist mit medizinischen,
tiefenpsychologischen Fragestellungen im Zusammenhang
mit dem Anderssein eines heranwachsenden Menschen? Was
ist mit dem Elternhaus? Wird hier nicht dort zu kurieren
versucht, wo sich das Übel zeigt, anstatt wo es
entsteht, in der Familie, in der Gesellschaft? Wenn ich
mir vorstelle, weiterhin in Weimar dabei geblieben
zu sein und Erzieher(innen) für diesen traurigen Job
ausgebildet zu haben, würde ich die Ihnen damals
unterstellte Institution, Herr Dr. Paul Saupe (damaliger
Direktor der Ausbildungsstätte), aus meiner heutigen
Sicht selbstverständlich, erstrecht verlassen
müssen. Uns trennen inzwischen Welten, was das
Menschenbild anbelangt.
Diese konsequente
Haltung konnte ich natürlich damals nicht haben. Sie
ist hier rein hypothetisch. Ich war zu jung, unwissend
und unerfahren und zu einer solchen pauschalen Kritik
nicht fähig.
Wie wird man aber
so, dass man in einem solchen Milieu funktionieren kann?
Ich kann mir keine(n) Einzige(n) aus meiner damaligen
Klasse im IfL II vorstellen, das Zeug dafür
gehabt zu haben, zum Täter an solchen verlorenen
Kindern und Jugendlichen zu werden. Ausnahmslos waren
alle meinem Eindruck nach mit einer edlen, moralischen
Gesinnung ausgestattet, die eine solche Entwicklung zu
keiner Zeit erahnen ließ. Aber, ich habe nur das erste
Halbjahr einer 3-jährigen Ausbildung verfolgen können.
Heute, liebe Ehemalige, seit Ihr fast am Ende Eurer
aktiven Dienstzeit angekommen. Vielleicht findet Ihr
Worte, Euch mit dieser Phase Eures Berufslebens kritisch
auseinander zu setzen. Es würde mich sehr interessieren, wie
die Ausbildungsstätte evtl. eine solche Entwicklung
gefördert hat. Ich weiß heute von ehemaligen Schülern
meiner Klasse, dass nach meiner Inhaftierung versucht
wurde Stimmung gegen mich zu machen. Viele Jahre habe
ich mich mit Schuldgefühlen deswegen herumgeplagt,
nicht die mir zugewiesene Aufgabe erfüllt zu haben.
Heute weiß ich, dass mir mein Bauch zurecht gesagt hat,
hier weg zu müssen. Ich biete an, hier eine solche
Auseinandersetzung zu führen. Ich würde mich freuen,
wenn ehemalige Studierende und Dr. Saupe sich daran
beteiligen würden.